27.01.2023: Beeindruckende Zeitzeugin Wendelgard von Staden sprach im vollen Seminarraum aus Anlass des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus
Was haben Sie genau gesehen, als Sie im Spätsommer 1944 gegenüber dem Lager auf einem Baum auf dem ehemaligen Gelände Ihrer Familie saßen? Haben Sie genau gesehen, wie die Lagerinsassen behandelt wurden und was mit den Toten geschah? Was konnten Sie und Ihre Mutter auf dem Hofgut für die Häftlinge tun? Wie erlebten Sie das Ende des Lagers?
Solche Fragen eines jungen Besuchers der Veranstaltung griff Wendelgard von Staden auf und berichtete klar und sprachlich präzise über ihre Erlebnisse mit den Häftlingen des KZ Vaihingen/Enz in den rund 8 Monaten seiner Existenz von August 1944 bis April 1945.
Nach ihrem Abitur und einer landwirtschaftlichen Ausbildung nahe Heilbronn war sie 19-jährig im Juli 1944 auf das elterliche Hofgut in Kleinglattbach zurückgekehrt, als im August die ersten 2188 Häftlinge nach Vaihingen gebracht wurden und dort zunächst das Lager mit seiner Stacheldrahteinzäunung, den ursprünglich vier Baracken und den Wachtürmen, die von SS-Männern mit Maschinenpistolen besetzt waren, fertig stellen mussten.
Nachdem Vorstandssprecher Rainer Mayer die ca. 70 Anwesenden begrüßt und in die Thematik eingeführt hatte, wurde der Film „Im Blick zurück – kein Vergessen: Erinnerungen von Wendelgard von Staden an die Häftlinge des KZ Vaihingen/Enz“ vorgeführt. Genau 18 Jahre zuvor fand dessen Premiere im Keller der Stadtbücherei Vaihingen/Enz statt. In ihm werden Frau von Stadens Erinnerungen mit der Geschichte des Lagers im Glattbachtal verwoben.
In den danach getätigten Ausführungen von Frau von Staden war der Bogen der Themen sehr weit gespannt. Außer der Rolle ihrer Mutter Irmgard von Neurath bei der Unterstützung der Häftlinge, der Stellung der Frau in der Nachkriegsgesellschaft und der Frage der Kollektivschuld der Deutschen, erläuterte sie auch die Entstehungsgeschichte ihres Buches „Nacht über dem Tal“. Als eine der ersten westdeutschen Frauen im diplomatischen Dienst war sie in der 50er Jahren beim Besuch einer ersten westdeutschen Delegation in Polen dabei. Nach ihrer Heirat mit Berndt von Staden 1961 und seiner Ernennung zum deutschen Botschafter in den USA, traf sie in Washington und New York ehemalige jüdische Häftlinge des KZ Vaihingen wieder. Diese Treffen waren Anstoß, ihre Erinnerungen aufzuschreiben und 1979 in Buchform zu veröffentlichen.
Nach rund 1,5 Stunden war diese ungewöhnliche und Eindruck hinterlassende „Geschichsstunde“ zu Ende. Im informellen Gespräch signierte Frau von Staden noch Bücher und tauschte bei diversen Nachfragen ihre Gedanken aus. Die KZ-Gedenkstätte Vaihingen/Enz dankt Frau von Staden herzlich an dieser Stelle dafür, dass sie diese würdige und tolle Veranstaltung ermöglichte.